Unser kleiner Kreuzschnabel heißt inzwischen Schnabi und der Schnabel wird zunehmend besser!
Heute wird es etwas weniger unterhaltsam, aber hoffentlich dennoch nicht langweilig.
Kurz vor dem Auszug der ersten Adoptivkinder dieses Jahres wurde uns einmal mehr ein... na sagen wir mal: "herausfordernder" Patient gebracht.
Mit Knochenbrüchen kennen wir uns inzwischen ganz gut aus, bei deren Versorgung sind wir routiniert. Auch für fehlgestellte Füße haben wir bereits „orthopädische Schuhe“ gebastelt. Bei Kippflügeln können wir eingreifen und sie wieder in die richtige Richtung bringen, wenn sie früh genug erkannt werden. Bei den kleinen Störchen ist das schnelle Wachstum manchmal Fluch und Segen zugleich. Schnell geht da etwas schief – im wahrsten Sinne des Wortes - aber genauso schnell kann es mit etwas Glück auch wieder gerade gerückt werden.
Beispiel gefällig?
Fehlt Protein zum Muskelaufbau bevor die großen Flügelfedern wachsen, können die mit Blut gefüllten Federkiele zu schwer für den kleinen Storchenflügel werden und diesen in eine ungünstige Stellung ziehen. Hier kann man mit ein paar Tagen Flügelbandage Abhilfe schaffen.
Ein Fremdkörper, wie fest um eine Gliedmaße gewickeltes Nistmaterial, kann zu einer Fehlstellung der Glieder führen. Besonders tückisch sind dabei natürlich synthetische Stoffe wie Bindegarne aus der Landwirtschaft, die im ungünstigsten Fall sogar zum Absterben von Körperteilen führen können.
In manchen Fällen ist die Ursache nicht ganz klar – auch eine eigentlich kleinere Verletzung kann durch eine daraus folgende Schonhaltung zu einer Fehlstellung führen. Mit etwas Glück und Bastelgeschick kann die aber schnell wieder behoben werden – wie in diesem Fall, in dem uns ein Storch mit einer Fehlstellung der Zehen gebracht wurde. Ein passender „Schuh“ sorgte hier für Abhilfe.
Knochenbrüche können beim Vogel nicht eingegipst werden, also behilft man sich bei einfachen Brüchen mit einer stabilisierenden Bandage – wir auf dem Hof nehmen dazu gern Eisstiele ;) , Polsterwatte und selbsthaftende Verbände. Bei komplizierteren Fällen muss der Tierarzt ran und setzt einen sogenannten „Pin“ (einen großen Nagel in den Knochen).
Übrigens heilen Knochenbrüche auch bei älteren Vögeln 3 Mal schneller als bei uns Menschen – logisch, ist ja auch nicht so viel Material nachzubauen bei so einem Ultraleichtflugknochen.
Der kleine Patient, der uns aber am 06. Juni aus Ummendorf im Bördekreis gebracht wurde, hatte ein Problem, das nicht so häufig vorkommt und für das es auch keine Patentlösung gibt.
Aus welchem Grund sein Oberschnabel so stark deformiert war, können wir nur mutmaßen. Ein fest verklebter Klumpen Dreck, am noch weichen Schnabel könnte innerhalb weniger Tage zu so einem starken Fehlwachstum geführt haben. Auch ein Vitaminmangel oder eine kleinere Verletzung in der Wachstumszone wären fähig, so etwas zu verursachen (wenn der Schnabel auf der einen Seite normal weiterwächst und auf der anderen Seite verzögert, wird er krumm – ähnliches Prinzip wie bei der Banane ;)).
Natürlich gibt es auch Erkrankungen, die solche Wachstumsfehler mit sich bringen. Die „Avian Keratin Disorder“ (AKD) ist z.B. eine solche. Der Auslöser dieser Krankheit ist noch nicht völlig klar, es wird aber vermutet, dass es sich dabei um eine Virusinfektion mit dem Poecivirus handelt. Die AKD wurde auch bei einzelnen Weißstörchen bereits nachgewiesen, betrifft allerdings normalerweise Altvögel, weshalb sie für unseren Behandlungsansatz eher unwichtig ist.
Ernährungsmäßig braucht sich unser kleiner Storch keine Sorgen mehr machen, bei uns bekommt er alles, was er braucht und davon mehr als reichlich. Der Schnabel wurde gründlich gereinigt, sodass nun nichts mehr das Wachstum behindern sollte. Aber wie überredet man jetzt den Schnabel, in die gewünschte Richtung weiterzuwachsen? Das geht leider nicht ohne Zwang. Eine Zahn- oder eher Schnabelspange musste her.
Patentlösung? Wäre schön gewesen… Also war Kreativität und basteln angesagt und nach mehreren Anläufen …
Manch einer fragt sich vielleicht, wieso wir nicht einfach Ober- und Unterschnabel aneinandergebunden haben. Bei einem voll verfestigten Knochen wäre das eventuell eine Option gewesen. Allerdings haben wir es hier mit einem Baby zu tun, dessen Knochen alles Mögliche, nur nicht fest sind. Ganz besonders nicht die zarten Knöchelchen des Unterschnabels, der gegen den Druck des stark verformten Oberschnabels hätte gegenhalten müssen. Dieser besteht aus zwei dünnen Knochen, die nur an der Spitze miteinander verwachsen sind (ähnlich wie unser menschlicher Unterkieferknochen). Wie zart und entsprechend leicht zu verformen oder beschädigen diese Knochen bei einem jungen Storch sind, kann man sich anhand der Schnabelgröße natürlich denken.
Aber bringt das ganze überhaupt etwas? Nun ja, nach einer Woche Behandlung sieht das ganze inzwischen so aus:
Mit etwas Glück und vielen gedrückten Daumen können wir die Schnabelspange schon in einer Woche wieder weglassen. Da wird jeder neidisch, der in seinem Leben jemals selbst eine Zahnspange tragen musste. Ob es wie gewünscht klappt oder wir weitere Herausforderungen überwinden müssen, darüber werden wir weiter berichten.