*Auguste und Emma sind zwei von bereits neun Pfleglingen, die wir in diesem Jahr aufgepäppelt haben und das sind ihre Geschichten.
Am 03. Januar watschelte eine Gans in Möckern am alten Bahnhof herum. Auf einen Zug hätte sie an der stillgelegten Bahnstrecke lange warten können, daher war es ihr Glück, dass die aufmerksame Finderin ihr eine kostenlose Taxifahrt nach Loburg spendierte.
Hier angekommen stellten wir fest: der Vogel war Menschenkontakt ganz offensichtlich gewohnt. Nicht nur trug er einen Spiralring, wie ihn Hobby-Geflügelhalter gern zur Markierung ihrer Tiere einsetzen, er war auch offensichtlich froh, dass sich jemand seiner angenommen hatte und schlief umgehend auf dem Schoß unserer Mitarbeiterin ein.
Die nicht ganz ernst gemeinte Vermutung, dass es sich bei dem Tier um eine entfleuchte Weihnachtsgans handeln könnte, ließ dann nur einen Namen zu: Auguste. Mit unseren Hühnern verstand sie sich auf Anhieb und trotzdem... na ja... sie sieht eben aus wie eine waschechte Graugans, also ein Wildvogel.
Nachdem sie sich einige Tage erholt hatte, ließen wir die Volierentür geöffnet und tatsächlich, Auguste zeigte uns ihr Flugvermögen. *Hurra*
Aber nicht zu früh freuen.
Frohen Mutes wurde Auguste mit einem professionellen Kennring versehen (vielen Dank an dieser Stelle an die Staatliche Vogelschutzwarte Steckby, denn wir selbst haben keine Gänsekennringe vorrätig). Kurze Zeit später flog sie fröhlich vom Hof.
Noch kürzere Zeit später bekamen wir den ersten Anruf: "Bitte kommen Sie, hier läuft eine beringte Gans auf dem Marktplatz herum!"
Ein Satz mit x... Also sammelten wir Auguste wieder ein und erneut ging es per gratis Taxi zurück zum Storchenhof.
Hier machte es sich Auguste für die nächsten 10 Tage in ihrer komfortablen Einzelsuite gemütlich bis zu dem Tag an dem Emma auf die Bildfläche trat, oder besser gesagt fiel, und das mit Karacho.
Emma, ihreszeichens eine waschechte Blässgans, hatte ein gänzlich anderes Gemüt als die entspannte Auguste. Ihre Einlieferungsgeschichte würde es eigentlich rechtfertigen, sie Blechgans zu nennen, denn Emma flog im dicksten Nebel nicht nur einmal sondern gleich doppelt vor Autos in der Loburger "City".
Sie krachte gegen die Windschutzscheibe des ersten Wagens, prallte dank serienmäßigem Gänse-Airbag (das Dicke, gut gefettete Gefieder mit seinen Lufteinschlüssen wirkt offensichtlich nicht nur als Neoprenanzug und Schwimmweste) von dieser ab und fiel geradewegs unter das nachfolgende Auto, das sie überfuhr aber - dank unfassbarem Glück - nicht überrollte.
Emma war benommen
mit ein paar Schrammen davongekommen
und kaum auf dem Storchenhof angekommen,
hatte sie sich ihrer Wildheit wiederbesonnen.
*Das war keine Absicht, aber es reimt sich und was sich reimt, ist gut* ;)
Die Blässgans, die nach diesem Unfall eigentlich viel kaputter hätte sein können, zeigte sich also bereits kurz nach ihrer Ankunft auf dem Storchenhof als waschechte Wildgans. Sie biss in alles hinein, was mit dem Schnabel erreichbar war und war mit der ihr verordneten Zwangsruhepause überhaupt nicht einverstanden. Wie besch***en sie ihre Situation fand, demonstrierte sie direkt auf dem Teppich ihres Nachtlagers. Damit hatte sie ihren Spitznamen weg: "Beißt und Sch***t".
Erfreulicherweise bestätigte sich der erste Eindruck. Die Gans hatte tatsächlich außer ein paar kleiner Schrammen und Prellungen keinerlei Verletzungen davongetragen und so konnte sie schon am nächsten Morgen aus ihrer kleinen Box zu Auguste in die große Voliere ziehen.
*An dieser Stellen kreuzen sich die beiden Handlungsstränge.*
Auguste war von ihrer neuen Mitbewohnerin zunächst alles andere als begeistert. Obwohl die Blässgans deutlich kleiner war als die Graugans, hatte letztere zunächst mit heftigen Panikattacken zu kämpfen, bis sie endlich begriffen hatte, dass von ihrer neuen Mitbewohnerin wohl doch keine Gefahr ausging. Emma ihrerseits hatte keinerlei Interesse an Auguste. Sie verhielt sich ihr gegenüber sehr neutral, ganz im Gegensatz zu ihrem Verhalten uns gegenüber. Jeder Mensch, der auch nur in die Nähe der Volierentür kam, wurde mit herausgestreckter Zunge angefaucht.
Emma erholte sich sehr schnell von ihren Blessuren und so wurde die Auswilderung schon 10 Tage später angesetzt. Da sich in diesem Zeitraum auch Auguste beruhigt hatte und die zwei Gänse ein harmonisches WG-Leben führten, wagten wir den Versuch und wollten auch sie noch einmal - diesmal etwas weiter weg und in der Nähe von Artgenossen - in die Freiheit entlassen.
Am 30. Januar wurden Auguste und Emma also von den lieben Kollegen der staatlichen Vogelschutzwarte und des Fördervereins Großtrappenschutz e.V. in Empfang genommen, die für uns die Auswilderung in entfernteren Gefilden vornahmen.
Auguste wurde an die Zerbster Kiesgrube gebracht. Hier rasteten etliche Graugänse, sodass Anschluss an Artgenossen garantiert war.
Emma hatte noch einen weiteren Weg vor sich. Sie fuhr bis über die Elbe nach Mennewitz, wo zu diesem Zeitpunkt mehrere 1000 Bläss- und andere Gänse ihr Winterquartier hatten. Zur Unterstützung der Forschung wurde Emma sogar mit einem Sender ausgestattet und die ersten Daten sehen vielversprechend aus. Sie kommt, wie erwartet, gut klar und hat Anschluss in der Reisegruppe gefunden.
Happy Ente... äh... Gans!
Oder?
Noch nicht ganz. Einen Tag nach der Auswilderung erreichte uns ein Anruf vom Zerbster Ordnungsamt. Sie ahnen vielleicht was jetzt kommt. Auguste hatte zwar ihre Auszeit im Kiesteich genossen, war dann jedoch zurück in die Stadt geflogen. Sie lief in Zerbst an der Nikolaikirche herum, mal wieder in der Nähe einer Haltestelle des ÖPNV und mal wieder wurde sie im Taxi zurück zum Storchenhof chauffiert. Dieses Mal im Dienstwagen des Ordungsamtes. Offensichtlich ist Augustes Vorstellung von "Happy End" eine andere als die unsere. Sie war jedenfalls mehr als zufrieden, als sie zurück in "ihrer" Voliere war und nach der durchzechten Nacht endlich ihren Kopf ins Gefieder stecken konnte. Sie wird nun dauerhaft bei Menschen leben dürfen - Angebote für lebenslange Kost und Logis haben wir glücklicherweise schon bekommen.
Leider hatten nicht alle unsere diesjährigen Pfleglinge solches Glück wie die beiden Gänse. Einige Todesfälle hatten wir schon zu beklagen. Zumindest konnten wir jedem Vogel eine faire Chance bieten und das werden wir auch weiterhin tun, denn die Saison hat noch gar nicht richtig begonnen.
Wer uns persönlich besuchen möchte, kann dies sehr gerne tun und sich unsere Arbeit hier vor Ort ansehen und bei einer Führung erklären lassen. Anmeldung ist erst bei größeren Gruppen nötig. Führungszeiten sind täglich zwischen 10:00 und 16:30 Uhr im Halbstundentakt - soweit wir es einrichten können und keine Notfälle dazwischen kommen.
Wir freuen uns auf Sie!