Als am 12.10. Kristians Daten übermittelt wurden und wir sie uns anschauten, machte sich eine gewisse Sorge bei uns breit.
Normalerweise fliegt sie für die Nacht zurück in die Stadt.
Wir hofften auf einen Datensatz am nächsten Tag, der genau das wieder zeigte.
Leider war dem nicht so. Im Gegenteil Am 13.10. bewegte sich der Sender zu einer kleinen Farm nördlich der Daten vom Vortag. Bei der genaueren Analyse der Datensätze erkannten wir, dass die Störchin seit dem 11.10. nicht mehr geflogen ist. Sie konnte nicht auf ihren eigenen Flügeln dorthin gelangt sein. Wir konnten auf einer Karte einen Strommast und die Leitungen erkennen. Ist Kristian mit diesen kollidiert? Radolfzell bestätigte am Montag, dass das Ereignis in der Nacht vom 11. zum 12.10. stattgefunden haben muss.
Wir kontaktierten noch am Abend des 13.10. den marokkanischen Tierarzt Mustapha Abidi, ob er vielleicht jemanden in Meknés kennen würde, der sich dort umschauen könnte. Er aber erklärte sich sofort bereit, am nächsten Tag dorthin zu fahren. Von Kenitra dort hin sind es etwa 100km. Er meldet sich am späten Vormittag mit einem Foto, eine marokkanische Familie und Herr Abidi sind zu sehen. Außerdem der Sohn der Familie, der einen Sender, wie Kristian ihn trug, in der Hand hält.
Nach seiner Rückkehr nach Kenitra berichtete uns Mustapha Abidi ausführlicher.
Kristian könnte bei einem Stromschlag an einem nahe gelegenen Mast verunglückt sein.. Die Kinder der Familie fanden die tote Störchin auf einer Schafweide und nahmen den Sender mit. Sie glaubten, es wäre ein Tracker.
Mustapha durfte das Grundstück betreten und man übergab ihm auch den Sender. Kristian nahm er ebenfalls mit nach Kenitra. Es gäbe bei ihr Anzeichen für Stromschlag.
Er erzählt:
Zwei Kinder fanden den toten Storch. Sie entfernten den Sender und nahmen ihn mit. Ein Junge versteckte den Sender gut in einem liegengebliebenen Auto, bevor er in das einige Kilometer entfernte Nachbardorf fuhr. Sie vereinbarten, ihn zu behalten und zu warten, ob jemand kommen würde, um nach ihm zu suchen.
Als ich am Morgen sehr früh ankam, habe ich um Erlaubnis gebeten, auf den Hof zu fahren.
Mit den Koordinaten bin ich bis vor die Haustür gekommen und das liegengebliebene Auto war drei Meter entfernt.
Jedenfalls bat ich darum, den toten Storch abholen zu dürfen. Er war unversehrt.
Der kleine runde Kreis ist der Ort der Koordinaten, nach denen ich gesucht habe. Das Auto, in dem sich das GPS befand, war nur wenig entfernt.
Die Kinder übergaben Monsieur Abidi den Sender und führten ihn noch zu der Stelle, an der sie den Storch, also unsere Kristian, gefunden hatten.
Unglaublich, wie viele Storchennester sich auf den Hochspannungsmasten der Umgebung befinden. Ursache für die Storchendichte ist mit Sicherheit die nicht weit entfernte Deponie der Stadt Meknés. Auch Kristian fühlte sich hier recht wohl. Bereits Ende September rastete sie dort, verließ die Gegend für einige Tage und kehrte dann am 06.10. nach Meknés zurück. Am Tage hielt sie sich auf der Deponie und an den Klärteichen auf und in der Nacht schlief sie in der Stadt, zum Beispiel auf den hohen Mauern des Königspalastes von Meknés.
Der Mast, der Kristian zum Verhängnis wurde, hat sogar 4 Nester.
Kaddour und sein Sohn Youssef mit Kristians Körper, dahinter der tödliche Hochspannungsmast.
Mustapha Abidi berichtet, dass Kristian nicht das einzige Opfer dieser Masten dort sein kann und ist.
"Ich sah einen Storch, dessen Flügel bis zum Boden fiel. Ich folgte ihm, aber er konnte gut fliegen.
Ja, es gibt Stromschläge auf dieser Strecke. Ich hatte keine Zeit, mir mindestens weitere tote Tiere anzusehen ... ich wollte dort weg, denn ich könnte stecken bleiben, wenn es regnet.
Ich habe mich in der Nähe dieses Mastes umgesehen, um zu sehen, ob andere Störche behindert sind.
Da beobachtete ich einen Storch, der humpelte ... Ich folgte ihm . Sie war in Schwierigkeiten ... Ich verfolgte sie . Ich rutschte im Schlamm aus. Der Boden war durch den Regen der letzten Nacht zu rutschig. Der Fluss führte Hochwasser.
Ein Wunder, dass ich sie schließlich einfangen konnte.
Ich war allein. Ich habe sie mit mir genommen, aber es war ein Wunder, dass ich sie einfangen konnte
Es ist möglich, dass sie auch einen Stromschlag erlitten hat! Aber ich kann das nicht bestätigen. Keine Verletzungen von außen"
(Anmerkung: cigogne= Storch ist im Französischen weiblich)
Wieder in Kenitra kümmerte sich der ehemalige Tierarzt und in Marokko anerkannte Weißstorchretter Mustapha Abidi zunächst um den verletzten Storch. Er fuhr mit den Störchen in eine mit ihm kooperierende Tierarztpraxis und dort wurde dann später auch Kristians Körper genauer untersucht. Die Strommarken an beiden Flügeln sind eindeutig identifizierbar, ebenso die Schädigungen an den inneren Organen durch den Stromschlag.. Die Fotos ersparen wir uns an dieser Stelle.
Wir sind Herrn Abidi sehr dankbar. Es ist zwar nicht das erste Mal, dass er für deutsche Senderstörche aktiv wurde, aber doch das erste Mal für uns. Durch ihn wurden schon einige GPS-Sender geborgen und gelangten auch später wieder z.b. auch zurück nach Deutschland bzw. auch nach Dänemark. Hunderte Kilometer ist er dafür unterwegs, seine Zeit ist ihm da nicht zu schade. Dazu kommen seine Pflegestörche, von denen er bereits viele wieder auswildern konnte.
An Kristian werden wir uns immer erinnern. Wir und auch Thomas Koberstein, der Weißstorchbetreuer u.a. von Henningen - Kristians Geburtsort. Er war so stolz im Sommer, die Störchin immer wieder beobachtet haben zu können. Es gab die große Hoffnung, dass die Störchin im kommenden Jahr nach Deutschland zurückkehrt und einen Brutpartner findet.
Aber auch Kristian ist eine von vielen Störchen, die zwar das erste Jahr überleben, aber dann auch nie zur Brut kommen, weil sie vorher auf dem Zug sterben.
Kristian fand ihre letzte Schlafstätte in Kenitra
unweit des Flusses Sebou auf der Halbinsel.
Mustapha Abidi hat ihr ein Grab gegeben.
(Der genaue Ort wurde uns genannt.)